Liebe Julie,
kannst Du Dich noch an das erste Jahr in der Volksschule erinnern, in dem man schreiben lernt? Ich konnte das nur mehr etwas verschleiert und fragmentartig, aber seit diesem Wochenende ist es als ob es gestern gewesen wäre…
Ich habe nämlich einen Workshop in Kalligraphie gemacht und dabei kommt man sich wahrlich wie ein Tafelklässler vor! Der Workshop der Vereins „Global Calligraphy Vienna“ bestand aus vier Teilen: Arabisch, Persisch, Deutsch und Japanisch. Total spannend! Vor allem wenn man bedenkt, dass man darüber nachdenkt, die Handschrift abzuschaffen und man nur mehr wie irr Buchstaben in den Computer tippt. Viel zu schade wäre es um die individuelle Handschrift, finde ich. Hier mein Plädoyer:
Ich habe mit der arabischen Schrift begonnen, die ihre Ursprünge in der Byblos-Schrift hat und die am weitest verbreitete der Welt ist. Die Punkte dienen vor allem der Unterscheidung der Konsonanten, aber für mich haben sie ohne der Sprache mächtig zu sein mehr einen ornamenthaften Charakter. Damit liege ich auch gar nicht so arg daneben, weil durch das Bildverbot im Islam, die Kalligraphie zu einer besonderen Blüte heran gereift ist und das Künstlerische sehr in den Vordergrund gestellt wurde, aber so weit bin ich natürlich nicht gekommen, sondern habe mich mit den Babybuchstaben und einem Bambuskiel krakelig geschrieben. Ich nenne diese Schrift immer liebevoll „Würmchenschrift“.
Das Schreiben von rechts nach links war besonders interessant, aber gar nicht so schwer wie ich dachte. Und ich muss sagen, es bewirkt etwas im Kopf, wenngleich ist es nicht gut in Wort fassen kann. Es ist einfach cool und eine tolle Erweiterung. Wie dem auch sei, unser Linkshänder war hier doch klar im Vorteil. Hihihi!
Abd, unser Lehrer, war auch besonders lustig und hat uns sehr viel erzählt und immer wieder Tips gegeben, während wir uns abgemüht haben und der Bambus oft gequietscht hat vor lauter Draufdrücken. Das Gute am Arabischen ist, dass man nachbessern darf, damit es besonders schön aussieht. 😉 Mein Name sieht unglaublich schön aus – ich bin ganz verliebt in diese Schrift.
Die nächste Station war für mich die deutsche Schrift und zwar die Fraktur, die sehr vielen bekannt ist aus wunderschön gestalteten alten Büchern. Sie entstand im 16. Jahrhundert und wird im engeren Sinne dem Hof von Kaiser Maximilian I. zugeschrieben. Lang, lang ist’s her. Ja. Ja!
Nachdem meine Omi mir noch Kurrent beigebracht hatte, weil ich das unbedingt als Volksschulkind lernen wollte, war es relativ leicht, wenngleich natürlich die Übung fehlt und die Abstände nicht so schön wurden, aber eigentlich hat es gut geklappt mit der Gänsefeder, wenngleich es nicht so ein herrlich wackelnde mit samtig weichen Federn war. Man kann eben nicht alles haben… 😉 Es war auch sehr hilfreich nach dem ersten Fehlanlauf zu erfahren, dass die Hilfslinien für die Kleinbuchstaben sind. Das Gefuzzel war dann selbst mir schon so klein, wo ich früher doch immer der Fuzzelmeister in Person war.
Am lustigsten war aber der Freestyle Teil, bei dem wir mit Hölzchen und bunter Tinte ausprobieren konnten, was wir wollten. Ich bin umgehend hinein gekippt und hatte eine mords Gaudi beim Experimentieren. Ich glaube, ich habe schnell verstanden, warum Petra dieser Teil besonders wichtig ist. 😉 Die Vertrautheit mit dieser Schrift hat also der Begeisterung keinen Abbruch getan.
Aber hopp, hopp, man möchte ja alle Schriften einmal probieren, deshalb hieß es dann wieder weiter und zwar zum Japanischen, was ich am Spannendsten fand. Warum? Nicht nur, dass ich die Zeichen so wunderschön finde, sondern auch die Art zu „schreiben“ unterscheidet sich von allen anderen markant: Man legt die Hand nicht auf! Frei mit dem Pinsel aus dem Handgelenk von oben nach unten. Klingt easy? Ist es aber nicht.
Die Schrift selber setzt sich aus drei Quellen zusammen: Kanji wurde aus der chinesischen Schrift entwickelt, weshalb auch viele Zeichen gleich sind. Hiragana und Katakana sind dagegen Silbenschriften. Als Ergänzung in der modernen japanischen Sprache wird das Rōmaji, sprich das lateinische Alphabet, eingesetzt. Wir haben uns allerdings mit Shodo, dem Weg des Schreibens mit Pinsel und Tusche, sowie dessen Basics beschäftigt und das war schon schwierig genug, weil man mit dem Pinsel oft in einer Position verharrt, um ein wenig später wieder weiter zu malen. Eine wahre Kunst und in Ansätzen habe ich vielleicht verstanden, was es heißt, japanische Kalligraphie zu betreiben und warum das einen derartigen Stellenwert in dieser Kultur hat und ein Leben lang andauern kann Shodo in höchster Perfektion zu erlernen. Die Japaner sind auch nicht nachsichtig wie die Araber: Der Strich muss auf Anhieb sitzen und perfekt sein. Davon bin ich meilenweit entfernt, aber es fasziniert mich!
Angeblich kann man lesen, was ich geschrieben habe, aber ich befürchte, dass jedes japanische Volksschulkind mein Gekrakel auslachen würde. 😛 Junko war jedenfalls sehr geduldig mit uns, aber ich glaube, die orange Tusche, mit der sie uns vorgeschrieben hat, ist einfach eine Zaubertusche, mit der alles einfach noch mal viel toller aussieht. Für das Wort Ewigkeit werde ich eben diese brauchen.
Leider bin ich zum persischen Teil nicht mehr gekommen, weil einige Kursteilnehmer das System nicht ganz verstanden hatten und Stationen einfach blockierten. Wenigstens hatte ich durch das Arabische einen kleinen Einblick erhalten in diese Welt, wenngleich ich auch von Mitra gerne mehr erfahren hätte – immerhin haben die lieben Perser 4 Schriftzeichen mehr. Das hat aber auch sein Gutes, weil man so neugierig bleibt…
Alles in allem war es ein super Nachmittag im „The Vienna Globe“ und dessen Devise „Sehnsucht nach Neuem“ ist voll aufgegangen. Ich freue mich, eine neue Welt kennengelernt zu haben und werde sicher wieder einen Ausflug in die Kalligraphie machen!
Nun habe ich aber genügend in die Tasten gehauen. 😉 Ein schier unglaublicher Kontrast zu gestern. Da merkt man erst wieder wie schön es sein kann, mit der Hand zu schreiben und wie viel Persönlichkeit und Kultur in Schrift steckt.
Alles Liebe,
Anna