Was will ich denn?

Jenny Holzer, „protect me from what I want“

Liebe Anna,

ich bin mal wieder an einem Wende- oder sagen wir Entscheidungspunkt in meinem Leben angelangt. Mein neuer Job, den ich vor etwas mehr als 3 Monaten angefangen und auf den ich mich riesig gefreut habe, hat sich aus verschiedenen Gründen leider nicht so entpuppt, wie mir das versprochen wurde und so habe ich in der Probezeit beschlossen, das Unternehmen wieder zu verlassen. Eine Entscheidung, die sich für mich total richtig anfühlt, aber doch einige Wellen und Kommentare aus meiner Umgebung ausgelöst hat.

Aber nicht nur das, sie stellt mich wieder einmal mehr vor die Frage: was will ich denn wirklich? Respektive was erwarte ich? Was „darf“ ich erwarten? Vom Leben, von meinem Job, von meinem Vorgesetzten? In welchem Bereich soll ich arbeiten und als was? In welcher Form? Grosses Unternehmen? Mittelständler? Start-up? Und je länger ich als Person mit vielerlei Fähigkeiten und Interessen darüber nachdenke, umso weniger weiss ich was ich eigentlich soll. Das Meer an Möglichkeiten tut sich einerseits vor mir unendlich weit auf und wenn der reality check dann ansteht bezüglich Erfüllung, Gestaltungsspielraum, Lebensunterhaltsfinanzierung und sonstige Lebensplanung, dann reduzieren sich diese Möglichkeiten ganz schnell wieder auf ein paar wenige runter respektive Wunschvorstellung und gefühlte Realität scheinen sich diametral einander gegenüber zu stehen.

Ich weiss was ich kann und worin ich gut bin. Aber wo und wie dieses ganze Paket an Fähigkeiten, Wissen, Erfahrung und Menschenverstand nun am besten eingesetzt werden soll, da stehe ich mir irgendwie im Weg. Eventuell lohnt es sich da einfach mal wieder die Arbeit etwas von ihrem hohen Podest der Wichtigkeit in meinem Leben runterzuholen und sie mit Hobbies und Freizeit auf Augenhöhe hinzustellen. Nicht ganz so einfach dieses Vorhaben, da ich doch über 6 lange Gymnasialjahre und weitere 4 Jahre Studium darauf getrimmt wurde, dass Leistung, Arbeit, Erfolg und nicht zu vergessen finanzielle Sicherheit erstrebenswert und äusserst wichtig wären. Zudem flüstert mir Generation Y von der anderen Seite ins Ohr, dass alles möglich ist, wenn man es sich nur fest genug wünscht,  dass Job, Hobby, ja das Leben an sich alles eins ist und es durchwegs Spass machen soll…ja wat denn nu?

Oft höre ich dann wiederum von unseren Altersgenossen, also den in-um-und-herum 40jährigen, dass ich mir nicht so viele Gedanken machen soll, schliesslich sei die Arbeit nur dazu da, das Leben zu finanzieren und überhaupt – mein Lieblingssatz – ich hätte viel zu hohe Ansprüche an mich selbst und an das Leben überhaupt. Ja aber liebe Leute, wenn ich im Jahr 2018 an mich und mein einziges Leben keine hohen Ansprüche bezüglich Erfüllung, Sinn und Entfaltung haben darf, woran denn dann?!

So sitze ich hier in unserem virtuellen Arbeitsstudio und mache mir ein paar Gedanken zum Leben, zur Arbeit und zu der Zeit, in die wir hineingeboren wurden…eventuell hast Du oder jemand von unseren mitlesenden WG Freunden weiterführende Antworten?

Alles Liebe von der vieldenkenden Julie

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Ein Gedanke zu “Was will ich denn?

  1. Liebe Julie,

    wir Obergrübler! Vielleicht liegt es auch daran, dass unsere Ansprüche so hoch sind. Aber unser Lieblingsspruch ist nach wie vor „Ich lebe vielleicht über meinen Verhältnissen, aber noch lange unter meinem Niveau!“ und dieser lässt sich auf sehr vieles im Leben ummüntzen, wie ich finde. Ja, da bin ich stur wie früher als kleines Kind und manchmal auch ein Revoluzer. Ich habe keine Lust, mich allen gesellschaftlichen Konventionen unterzuordnen, sondern mache mir ein wenig meine eigene Welt wie sie mir gefällt. Pipi Langstrumpf Leser haben’s besser!

    Im Clash zwischen den Vorstellungen unserer Elterngeneration mit harter Arbeit gekrönt von Erfolg (?) und finanzieller Sicherheit und der Generation Y mit ihren Träumen und einem lustigen Verständnis der Selberverwirklichung landen wohl viele von uns am Boden der Realität. Weder das eine noch das andere Konzept geht aus meiner Sicht auf. Vor allem das Vorgaukeln, dass alles möglich ist und man sein Hobby zum Beruf machen kann, finde ich schwierig. Abgesehen von der Frage, ob ich mein Hobby wirklich zum Beruf machen will… Ebenso möchte ich mich aber davon distanzieren, dass alles gut ist wie es war und man brav im Hamsterrad weiter läuft.
    Dein angesprochener Reality-Check ist spannend: Welcher Traum passt jemals so wie er ist in die Realität? Mir scheint, Geschichte schreiben durchaus auch jene, die abseits der Realität ihre Ideen umsetzen. Auch ich fühle mich oft eingeengt in unserer Gesellschaft, wo man mit 45 Jahren schon zum alten Eisen gehört, aber bis mindestens 65 Jahren arbeiten soll, wenn man das aus klassischer Karrieresicht betrachtet. Und ja, einige Jobs in Corporates sind passé, wenn man in einem gewissen Alter nicht die passende Position erreicht hat. Punktum. Aber ist das alles im Leben? Was will man? Gute Frage. Erfüllung? Ja. Sinn? Ja. Entfaltung? Ja. Aber diese drei Kriterien muss ich nicht nur im Beruf finden. Das Leben besteht doch aus mehr: Familie, Freunde, Interessen, Beruf und Träume. Warum sollte man ein Leben führen, dass einen selber nicht zufrieden stellt, geschweige denn glücklich macht, aber den allgemeinen Standards anderer entspricht? Ich will nicht mein Leben für andere führen, sehe mich aber oft genug in Situationen verstrickt, wo es mir so erscheint oder ich mich gezwungen fühle.

    Ich sehe das wieder mal als Gratwanderung meines zweiten Lieblingsspruches „Zwischen zu wenig und zu viel, ist dem Narren sein Ziel.“ In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Vielleicht muss man es so sehen, dass zwischen diesen diametral gelegenen Polen ganz viel Raum und Platz ist für sinnstiftende Entfaltung und Erfüllung. 🙂

    Busserl aus dem Wiener Denkstudio,
    Anna

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