Roomie Adventskalender #24: Heiligabend

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Francesco Solimena „Anbetung der Hirten“

Die Heilige Nacht

Gesegnet sei die heilige Nacht,
die uns das Licht der Welt gebracht! –

Wohl unterm lieben Himmelszelt
die Hirten lagen auf dem Feld.

Ein Engel Gottes, licht und klar,
mit seinem Gruß tritt auf sie dar.

Vor Angst sie decken ihr Angesicht,
da spricht der Engel: “Fürcht`t euch nicht!”

“Ich verkünd euch große Freud:
Der Heiland ist geboren heut.”

Da gehn die Hirten hin in Eil,
zu schaun mit Augen das ewige Heil;

zu singen dem süßen Gast Willkomm,
zu bringen ihm ein Lämmlein fromm. –

Bald kommen auch gezogen fern
die heilgen drei König`mit ihrem Stern.

Sie knieen vor dem Kindlein hold,
schenken ihm Myrrhen, Weihrauch, Gold.

Vom Himmel hoch der Engel Herr
frohlocket: “Gott in der Höh sei Ehr!”

(Eduard Mörike)

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Roomie Adventskalender #23: Weihnachtsbaum

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Viggo Johansen „Glade Jul“

Der Weihnachtsbaum

Ich lag und schlief; da träumte mir
ein wunderschöner Traum:
Es stand auf unserm Tisch vor mir
ein hoher Weihnachtsbaum.

Und bunte Lichter ohne Zahl,
die brannten ringsumher;
die Zweige waren allzumal
von goldnen Äpfeln schwer.

Und Zuckerpuppen hingen dran;
das war mal eine Pracht!
Da gab’s, was ich nur wünschen kann
und was mir Freude macht.

Und als ich nach dem Baume sah
und ganz verwundert stand,
nach einem Apfel griff ich da,
und alles, alles schwand.

Da wacht‘ ich auf aus meinem Traum,
und dunkel war’s um mich.
Du lieber, schöner Weihnachtsbaum,
sag an, wo find‘ ich dich?

(Rainer Maria Rilke)

Roomie Adventskalender #22: Vorfreude

Jackson Pollok "The deep"

Jackson Pollok „The deep“

Vorfreude

Ein Kind – von einem Schiefertafel-Schwämmchen
Umhüpft – rennt froh durch mein Gemüt.

Bald ist es Weihnacht! – Wenn der Christbaum blüht,
Dann blüht er Flämmchen.
Und Flämmchen heizen. Und die Wärme stimmt
Uns mild. – Es werden Lieder, Düfte fächeln. –

Wer nicht mehr Flämmchen hat, wem nur noch Fünkchen glimmt,
Wird dann doch gütig lächeln.

Wenn wir im Traume eines ewigen Traumes
Alle unfeindlich sind – einmal im Jahr! –
Uns alle Kinder fühlen eines Baumes.

Wie es sein soll, wie’s allen einmal war.

(Joachim Ringelnatz)

Roomie Adventskalender #21: Menschheit

Fride Kahlo "Selbstbildnis mit Affen"

Fride Kahlo „Selbstbildnis mit Affen“

Die Entwicklung der Menschheit

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphaltiert und aufgestockt,
bis zur dreißigsten Etage.
Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentralgeheizten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seinerzeit auf den Bäumen.

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebildeter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

Sie schießen die Briefschaften durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

Was ihre Verdauung übrigläßt,
das verarbeiten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stiluntersuchungen fest,
daß Cäsar Plattfüße hatte.

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fortschritt der Menschheit geschaffen.
Doch davon mal abgesehen und
bei Lichte betrachtet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

(Erich Kästner)

Roomie Adventskalender #19: Tanz

Edgar Degas "Tänzerinnen in Blau"

Edgar Degas „Tänzerinnen in Blau“

Tanz auf dem Eis

Ich habe erst in späten Stunden
dich auf gefror´nem See gefunden,
und keiner von uns beiden weiß,
wie lang noch hält das große Weiß,
das im Fließen – wir genießen.

Noch ist die Fläche blank und weit
und reicht schier bis zur Ewigkeit.
Doch wenn ich mich nicht vollends täusch,
vernehme ich schon ein Geräusch,
eis´ges Drängen – will sich sprengen..

Möcht sanfte Wärme sich erfrechen,
unsren Tanzplatz zu zerbrechen?
Wer bleibt oben, wer wird sinken?
Werden beide wir ertrinken?
Einer allein? – Das darf nicht sein!

So – im letzten Tagesglanz
sieht niemand unser´n Totentanz,
wenn wir zu Mondes freundlich Winken
in der eis´gen Welt versinken.
Gib mir die Hand – zu neuem Band.

Wenn alle Ängste weichen,
bieten an sich neue Zeichen:
Hand in Hand im Eis zu schwimmen,
lässt neue Glut von selbst erglimmen.
Kein and´rer weiß – vom Tanz auf Eis.

(Tilly Boesche-Zacharow)

Roomie Adventskalender #18: Ehrfurcht

Jacopo Tintoretto "Doge Alvise Mocenigo and Family before the Madonna and Child"

Jacopo Tintoretto „Doge Alvise Mocenigo and Family before the Madonna and Child“

Ich sehn‘ mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub‘, ich hab’s einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
daß alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei’s Sonnnenstrahl,
daß Regen, Schnee und jede Wolk,
daß all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muß gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön‘
ein’s jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd‘ still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, daß war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb‘ bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!

(Hermann Hesse)

Roomie Adventskalender #17: Großstadt

Paul Klee "Burg und Sonne"

Paul Klee „Burg und Sonne“

Nun senkt sich wieder auf die heim’schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.

Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?
Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie.
Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,
den Aschenbecher aus Emalch glasé.

Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einen stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikohn,

Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
»Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!«

Und frohgelaunt spricht er vom ›Weihnachtswetter‹,
mag es nun regnen oder mag es schnein,
Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter,
die trächtig sind von süßen Plauderein.

So trifft denn nur auf eitel Glück hienieden
in dieser Residenz Christkindleins Flug?
Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden …
»Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.«

(Kurt Tucholsky)

Roomie Adventskalender #16: Geschwister

Pierre August Renoir

Pierre August Renoir „Jean und Geneviève Caillebotte“

Große Schwester

Große Schwester, liebevolle Glut
Umarmung von ihr, tut dir so gut
Auch einen Rüffel kannst du mal vertragen
Immer um Hilfe und Beistand fragen

Auch wenn sie mal schimpft, wie ein großer Rohrspatz
Ist die große Schwester doch ein richtiger Schatz
Nimmt dich in den Arm, knufft dich in die Seite
Und du weißt genau, sie ist doch die Gescheite

Sieht dich streng an, ohne ein Lachen
Musst du denn immer so viel Blödsinn machen
Kurze Zeit danach, lacht sie dich dann an
Weil sie dir nie lange ernstlich böse sein kann

Sie hat mit dir gelacht, und manchmal auch geweint
Auch wenn mal die Sonne für keinen von euch scheint
Drum bist du auch so dankbar, dass du sie hast
Denn sie ist doch wirklich ein richtiger Schatz.

(Lydia Teuscher)